Kardinal Walter Kasper hat die sogenannte Sankt-Gallen-Mafia, die bei der Wahl von Papst Franziskus im Jahr 2013 die Strippen gezogen haben soll, als „eine Erfindung von Journalisten“ bezeichnet. Es sei dazu gekommen „aufgrund einer launigen Bemerkung von Kardinal Godfried Danneels von Mecheln-Brüssel“, so Kasper, der selbst Teil der Gruppe war.
Außerdem konstatierte er, man müsse „dumm oder naiv“ sein, um das Papstamt „für sich selbst anzustreben“. Der mit 92 Jahren selbst nicht wahlberechtigte Kardinal sprach am Sonntag mit der Schweizer Zeitung Blick über das bevorstehende Konklave.
Der Vatikanexperte Ulrich Nersinger hatte mit Blick auf die Sankt-Gallen-Mafie am Montag gegenüber CNA Deutsch erläutert, es habe „eine Gruppe von Kardinälen und Bischöfen, die sich regelmäßig im schweizerischen Sankt Gallen traf, unheilvoll von sich Reden gemacht. In ihrem Bestreben, auf das Konklave verbotenerweise Einfluss zu nehmen, bezeichnete sie sich selbst mit kaum vorstellbarer Unverfrorenheit als Sankt-Gallen-Mafia.“
Kasper sagte nun: „Es gab auf Anregung von Kardinal Carlo Martini aus Mailand einen Gesprächskreis von befreundeten europäischen Bischöfen und Kardinälen, die sich einmal im Jahr nach Weihnachten in St. Gallen trafen. Wir haben uns über unsere pastoralen Erfahrungen und Probleme und die Situation der Kirche ausgetauscht – nie aber darüber, wer der künftige Papst sein soll.“
„Der Kreis hat sich nach der Wahl von Papst Benedikt 2005 aufgelöst und als solcher bei der Wahl von Papst Franziskus 2013 gar nicht mehr existiert“, fuhr der Kardinal fort. „Einzelne ehemalige Mitglieder trafen sich nach der eindrucksvollen Ruck-Rede von Kardinal Bergoglio mit anderen Kardinälen und erörterten dessen Wahl. Dass es dann im Konklave zur notwendigen Zweidrittelmehrheit für ihn kam, war nicht das Werk einer relativ kleinen ‚Mafia‘, sondern das Werk des Heiligen Geistes.“
Kasper war von 1989 bis 1999 Bischof von Rottenburg-Stuttgart. Dann machte Papst Johannes Paul II. ihn zum Sekretär des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. 2001 wurde Kasper Präsident desselben Gremiums. Gleichzeitig verlieh Papst Johannes Paul II. ihm die Kardinalswürde. Aus Altersgründen trat er 2010 von diesem Amt zurück.
Beim ersten Angelusgebet nach seiner Wahl verwies Papst Franziskus im März 2013 auf ein Buch von Kasper zur Barmherzigkeit, das „Theologie auf den Knien“ sei. Kasper war dann auch treibende Kraft hinter den Bestrebungen, zivil geschiedenen und wiederverheirateten Personen den Empfang der heiligen Kommunion zu ermöglichen, was Papst Franziskus mit seinem Apostolischen Schreiben Amoris laetitia und der anschließenden offiziellen Interpretation umsetzte. Am deutschen Synodalen Weg, der zahlreiche Reformen auf den Weg bringen wollte und sich dabei regelmäßig der Zustimmung einer großen Mehrheit der Bischöfe erfreute, übte Kasper später wiederholt Kritik.
Zum bevorstehenden Konklave sagte Kasper am Sonntag: „Nach meinem Eindruck wollen die meisten Kardinäle Franziskus’ Weg weitergehen. Er hat Gott sei Dank sehr viel angestossen, konnte das aber nicht zu Ende führen. In zwölf Jahren können Sie eine Kirche mit 1,4 Milliarden Menschen nicht umkrempeln. Das braucht Zeit und Geduld.“
Auch die konservativen Kardinäle hätten, so Kasper, „wohl wahrgenommen, wie begeistert die Menschen von seinem Stil waren – das zeigte sich anlässlich der Beerdigung. Franziskus hat eine neue Art des Papstseins vorgelebt. Er wollte mitten unter den Menschen sein, er hat ihre Sprache gesprochen, besass nichts Abgehobenes, sondern stellte die Armen ins Zentrum und zeigte: Die Kirche hat den Menschen auch heute etwas zu sagen.“
Bereits in der vergangenen Woche hatte Kasper gesagt: „Der Papst sollte die Weltkirche etwas kennen, aus der breiten Mitte. Meiner Ansicht nach sollte man jemanden nehmen, der mit beiden Seiten reden kann und versuchen kann, zusammenzuführen und nicht zu spalten. Das scheint mir in der gegenwärtigen Situation wichtig zu sein. Denn es hat sich in Gegensätzen verhakt, die es eigentlich nicht geben sollte in der Kirche.“
„Zum anderen würde ich persönlich wünschen, dass der neue Papst die Grundlinien, die Papst Franziskus gelegt hat, weiterführt“, so Kasper. „Franziskus hat viele Initiativen ergriffen, viele Türen geöffnet, auch viele Fragen zugelassen. Dass man überhaupt darüber diskutieren kann, ohne zensuriert zu werden; das hat eine andere, neue Atmosphäre geschaffen.“
Es gebe allerdings auch Kardinäle, „die dagegen sind, die wollen mehr oder weniger zum Alten zurückkehren. Das hat keine Zukunft nach meiner Meinung.“
Er selbst glaube vor diesem Hintergrund nicht, „dass jetzt ein extremer Richtungswandel kommt. Man braucht eher eine gewisse Beruhigung in der gegenwärtigen Situation der Kirche. Einen neuen Stil des Umgangs in der Kirche, den brauchen wir. Wenn das der neue Papst schafft, dann macht es Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.“
Das Konklave beginnt am Mittwoch. Am ersten Tag findet ein Wahlgang statt, am zweiten dann vier Wahlgänge. Nach drei Tagen ohne Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Kandidaten ist eine Unterbrechung von höchstens einem Tag vorgesehen, „um eine Pause für das Gebet, für ein zwangloses Gespräch unter den Wählern und für eine kurze geistliche Ansprache durch den ranghöchsten Kardinal aus der Ordnung der Diakone zu haben“, so die Apostolische Konstitution Universi Dominici gregis, die das Prozedere regelt. Das Konklave hat zuletzt nie so lange gedauert, dass eine solche Pause nötig gewesen wäre.
Insgesamt gibt es 252 Kardinäle, wovon 135 wahlberechtigt sind. Mindestens zwei wahlberechtigte Kardinäle werden aber wohl nicht am Konklave teilnehmen können. So ergibt sich, dass für eine Zwei-Drittel-Mehrheit 89 Stimmen nötig sind.