Weihbischof Thomas Maria Renz hat mit Blick auf die Teilnehmerzahlen bei den verschiedenen Märschen für das Leben vor einer falschen Euphorie gewarnt: „Da sind jeweils schon ein paar tausend Teilnehmende und auch immer viele junge Menschen unterwegs. Aber die große Masse erreicht das Thema noch lange nicht, da stehen wir doch noch sehr am Anfang.“
Er glaube nicht, „dass das ein Wachstumsthema ist“, räumte der Weihbischof aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Gespräch mit der katholischen Wochenzeitung „Die Tagespost“ am Mittwoch ein. „Das wäre schön, ist aber aus meiner Sicht etwas euphemistisch.“
Die Kirche habe das Thema Lebensschutz „weitgehend vernachlässigt“, gab Renz zu. „Wo gibt es Pfarrer, die gelegentlich mal über dieses Thema sprechen, um Bewusstsein dafür zu bilden? Oder Pfarrgemeinderäte, die sich mit dem Thema beschäftigen? Dabei wäre die Frage doch durchaus interessant: Was können wir in unserem Dorf, in unserer Stadt tun, wenn schwangere Frauen in Not sind? Was können wir vor Ort an ganz konkreten Hilfen anbieten?“
„Auch in der Bischofskonferenz habe ich nach dem Ausstieg der Katholischen Kirche aus dem staatlichen Beratungssystem im Jahr 2000 nur noch selten etwas zu diesem Thema gehört“, fuhr Renz fort. „Einzelne Bischöfe äußern sich gelegentlich mal zu diesem Thema, aber im Großen und Ganzen machen wir doch eher einen weiten Bogen darum.“
Renz selbst nimmt immer wieder an Märschen für das Leben teil. Außerdem äußert er sich regelmäßig öffentlich zu Fragen des Lebensschutzes, ob das die Abtreibung ist oder andere bioethische Fragen. Zuletzt nahm er vor wenigen Tagen am Kongress „Leben.Würde“ teil, der unter anderem vom Bundesverband Lebensrecht veranstaltet wurde.
„Das Thema in der Öffentlichkeit totzuschweigen, nur weil sich inzwischen nur noch die extrem Rechten des Themas annehmen, ist wirklich keine Alternative, wenn jeder einzelne Mensch, auch der ungeborene, eine einzigartige Würde besitzt und von Gott unendlich geliebt ist“, betonte der Weihbischof. „Wir haben als Kirche den Auftrag, Zeugnis für die Schönheit und Kostbarkeit des Lebens zu geben.“
Seiner Ansicht nach wollten Kirchenvertreter „heute vor allem den Eindruck vermeiden, als ob wir irgendjemandem Vorschriften machen würden. Aber sich überhaupt nicht mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen halte ich für viel fataler, als sich kontrovers damit zu befassen.“
„Das Schlimmste wäre für mich, wenn man das Thema einfach ignoriert und sagt, das geht mich nichts an“, sagte er. „Ich glaube, es geht uns alle etwas an! Da ist also für uns als Kirche durchaus noch Luft nach oben.“
Jahr für Jahr werden in Deutschland mehr als 100.000 Kinder von der Geburt noch im Mutterleib getötet. Die vorige Bundesregierung hatte sich für eine Aufweichung der strafrechtlichen Regelung von Abtreibungen eingesetzt, dafür aber letztlich keine Mehrheit finden können. Mit einer von den Unionsparteien CDU und CSU geführten neuen Regierung ist es unwahrscheinlich, dass am grundsätzlichen Verbot von Abtreibungen gerüttelt wird. Die schon jetzt gewährten Ausnahmen von diesem Verbot sind bereits für mehr als 100.000 Abtreibungen verantwortlich.
Der bekannteste Marsch für das Leben findet alljährlich in der Bundeshauptstadt Berlin statt. Der nächste Termin ist der 20. September, ein Samstag. Zeitgleich findet seit einigen Jahren ein Marsch für das Leben in Köln statt – so auch in diesem Jahr. Eine weitere große Veranstaltung ist der Münchner Marsch fürs Leben, der zuletzt Anfang Mai stattfand. Für 2026 ist der 18. April als Termin eingeplant.