Das Leben des Christen ist ein Leben des geistlichen Kampfes. Der katholische Glaube lehrt, dass Menschen nicht die einzigen intelligenten Wesen sind, die Gott geschaffen hat. Gott schuf die Engel, und einige dieser Engel wurden rebellisch und fielen von Gott ab. Beide Seiten sind im Kampf um die menschliche Seele verwickelt.
Ein beliebtes Gebet, das sich diesem Kampf sehr deutlich widmet, ist das Gebet zum Erzengel Michael — der unter anderem auch Schutzpatron der Deutschen ist. Verfasst von Papst Leo XIII. im 19. Jahrhundert, ist es bis heute in seiner kurzen Fassung vielen Katholiken in aller Welt geläufig. Die längere Version findet in Exorzismen Verwendung.
Papst Franziskus rief am 27. Sept. 2020 erneut dazu auf, das Gebet zu verbreiten und die Verehrung des Erzengels zu fördern. In einer Botschaft, die am 27. Sept. veröffentlicht wurde, gratulierte der Papst den Mitgliedern der Kongregation des Erzengels Michael zum bevorstehenden hundertsten Jahrestag ihrer Billigung durch die kirchlichen Autoritäten.
Die legendäre Entstehungsgeschichte
Was das Gebet besonders interessant macht, ist seine Entstehungsgeschichte — deren historische Genauigkeit allerdings wissenschaftlich nicht belegt ist. Verschiedene Erzählungen und Legenden sind über die Jahre entstanden, die jedoch erst Jahrzehnte nach der Entstehung des Gebets aufkamen.
Einer Erzählung zufolge fand man Papst Leo XIII. eines Tages nach dem Feiern der Heiligen Messe regungslos vor sich hinstarrend vor. Einen Augenblick später war er plötzlich wieder präsent und sperrte sich schnell in seinem privaten Büro ein. Eine halbe Stunde später, als seine Mitarbeiter schon an die Tür klopften um zu fragen, ob alles in Ordnung sei, kam er heraus mit dem fertigen Gebet.
Was hatte der Papst gesehen, das ihn dazu bewegte, dieses Gebet zu verfassen? Einer Version zufolge hatte er eine Vision von dämonischen Kräften, die Rom umzingelten. Einer anderen zufolge hörte Leo XIII. ein Gespräch zwischen Gott und Satan, in dem Gott dem Teufel erlaubte, ein Jahrhundert zu wählen, in dem er sein Schlimmstes tun durfte. Welches Jahrhundert der Widersacher wählte? Das 20.
Historische Bedeutung
Seit den 1930er Jahren haben Artikel in verschiedenen katholischen Publikationen solche Geschichten erzählt. Sie entstanden jedoch frühestens 45 Jahre nach der Verfassung des Gebets. Ein Artikel aus den 1950er Jahren gibt zwar den persönlichen Sekretär des Papstes als Quelle an, aber es ist unklar, ob dies zutrifft — es gibt keine zeitgenössischen Quellen aus den 1880er Jahren, die dies bestätigen würden.
Viele moderne Historiker beschreiben diese Berichte gerne als Legenden, die sich im Lauf der Zeit entwickelten, nicht als historische Fakten. So oder so: Das Gebet selbst wurde zwischen 1884 und 1886 als Teil der sogenannten “Leoninischen Gebete” eingeführt, die nach jeder Messe gebetet wurden.
All das ändert nichts an der brisanten Relevanz und brennend aktuellen Lektion des Gebets: Der geistliche Kampf ist andauernd, und Katholiken sind aufgerufen, wachsam zu bleiben und weiter zu beten. Unabhängig von den umstrittenen Ursprungsgeschichten bleibt das Gebet ein kraftvoller Ausdruck des katholischen Glaubens an den Schutz der Engel.
Hier ist das Gebet an den heiligen Erzengel Michael:
Heiliger Erzengel Michael,
verteidige uns im Kampfe;
gegen die Bosheit und die Nachstellungen
des Teufels, sei unser Schutz.
‘Gott gebiete ihm’, so bitten wir flehentlich;
du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,
stoße den Satan und die anderen bösen Geister,
die in der Welt umherschleichen,
um die Seelen zu verderben,
durch die Kraft Gottes in die Hölle.
Amen.
Wer das Gebet lieber in der Sprache der Kirche betet, findet hier die lateinische Version.
