Papst Leo XIV. hat sein erstes großes Lehrschreiben „über die Liebe zu den Armen“ verfasst. Dabei handelt es sich um die Vollendung eines bereits von Papst Franziskus begonnenen Dokuments, wie Leo ausdrücklich betont. Die Apostolische Exhortation Dilexi te wurde am Donnerstagmittag offiziell veröffentlicht.
„Ich teile den Wunsch meines verehrten Vorgängers, dass alle Christen den tiefen Zusammenhang zwischen der Liebe Christi und seinem Ruf, den Armen nahe zu sein, erkennen mögen“, betonte der Papst zu Beginn von Dilexi te. „Auch ich halte es nämlich für nötig, auf diesen Weg der Heiligung zu dringen, denn in dem ‚Aufruf, ihn in den Armen und Leidenden zu erkennen, offenbart sich das Herz Christi selbst, seine Gesinnung und seine innersten Entscheidungen, die jeder Heilige nachzuahmen sucht‘.“
Die Enzyklika von Franziskus über das Herz Jesu trug den Titel Dilexit nos, an den sich der Titel des nun vorgestellten Textes anlehnt.
Die Apostolische Exhortation umfasst fünf Kapitel, wovon die drei in der Mitte liegenden einen Blick zurück werfen in die Heilige Schrift und in die Kirchengeschichte. Im ersten Kapitel hingegen führt Leo einige „wesentliche Punkte“ an.
Wenn man den „Schrei der Armen“ höre, „sind wir aufgerufen, mit dem Herzen Gottes zu fühlen, der sich um die Nöte seiner Kinder und besonders der Bedürftigsten kümmert“, mahnte er. „Bleiben wir hingegen diesem Schrei gegenüber gleichgültig, würde der Arme gegen uns zum Herrn schreien, und eine Sünde läge auf uns, und wir würden uns vom Herzen Gottes selbst entfernen.“
„Die Lebenssituation der Armen ist ein Schrei, der in der Geschichte der Menschheit unser eigenes Leben, unsere Gesellschaften, die politischen und wirtschaftlichen Systeme und nicht zuletzt auch die Kirche beständig hinterfragt“, fuhr der Pontifex fort. „Im verwundeten Gesicht der Armen sehen wir das Leiden der Unschuldigen und damit das Leiden Christi selbst.“
Der Papst bezeichnete es als „Illusion, dass ein Leben in Wohlstand glücklich macht“. Diese „Illusion“ führe viele Menschen „zu einer Lebenseinstellung, die auf Ansammlung von Reichtum und sozialen Erfolg um jeden Preis ausgerichtet ist, auch wenn dies auf Kosten anderer geschieht und man dabei von ungerechten gesellschaftlichen Idealen bzw. politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen profitiert, die die Stärkeren begünstigen“.
Grundsätzlich gelte: „Wir dürfen nicht sagen, dass die meisten Armen arm sind, weil sie sich keine ‚Verdienste‘ erworben haben, gemäß jener falschen Vorstellung der Meritokratie, nach der scheinbar nur diejenigen Verdienste haben, die im Leben erfolgreich gewesen sind.“
Das zweite Kapitel widmete sich ausführlich dem Thema Armut, wie es im Alten und im Neuen Testament dargestellt wird. Jesus selbst habe „dieselbe Ausgrenzung“ erlebt, „die die Definition der Armen ausmacht: Sie sind die von der Gesellschaft Ausgeschlossenen. Jesus ist die Offenbarung dieses privilegium pauperum. Er zeigt sich der Welt nicht nur als armer Messias, sondern auch als Messias der Armen und für die Armen.“
Das dritte Kapitel blickte dann in die Kirchengeschichte. Schon in „den ersten Jahrhunderten erkannten die Kirchenväter in den Armen einen vorzüglichen Weg zu Gott, eine besondere Möglichkeit, ihm zu begegnen. Die Nächstenliebe gegenüber den Bedürftigen wurde nicht als einfache moralische Tugend verstanden, sondern als konkreter Ausdruck des Glaubens an das fleischgewordene Wort.“
Später, im Mittelalter, waren die Bettelorden „eine lebendige Antwort auf Ausgrenzung und Gleichgültigkeit. Sie schlugen nicht ausdrücklich soziale Reformen vor, sondern eine persönliche und gemeinschaftliche Bekehrung hin zur Logik des Reiches Gottes. Für sie war Armut keine Folge eines Mangels an Gütern, sondern eine freie Entscheidung: sich klein zu machen, um sich der Kleinen anzunehmen.“
Papst Leo ging auf zahlreiche weitere kirchliche Initiativen im Laufe der Geschichte ein, bevor er im vierten Kapitel auf die kirchliche Soziallehre umschwenkte. „Das Lehramt der letzten 150 Jahre bietet eine wahre Fundgrube wertvoller Lehren über die Armen“, fasste er zusammen. Gleichzeitig beschäftigte er sich mit einigen Wortmeldungen der Bischöfe in Lateinamerika zum Thema Armut.
„Ich habe an diese zweitausendjährige Geschichte kirchlicher Aufmerksamkeit für die Armen und inmitten der Armen erinnern wollen, um zu zeigen, dass sie wesentlicher Bestandteil des ununterbrochenen Weges der Kirche ist“, betonte der Pontifex zu Beginn des letzten Kapitels mit dem Titel „Eine beständige Herausforderung“.
Er hielt fest, dass „die Liebe zu den Armen – in welcher Form auch immer sich diese Armut zeigt – die evangeliumsgemäße Garantie für eine Kirche“ sei, „die dem Herzen Gottes treu ist. Jede kirchliche Erneuerung hat denn auch immer diese vorrangige Aufmerksamkeit für die Armen, die sich sowohl in ihren Beweggründen als auch in ihrem Stil von der Tätigkeit jeder anderen humanitären Organisation unterscheidet, zu ihren Prioritäten gezählt.“
Im letzten Kapitel unterstrich Papst Leo auch, dass der Einsatz für die Armen nicht nur für die Armen selbst eine Wohltat ist, sondern auch umgekehrt für die Menschen, die den Armen helfen: „Wenn es richtig ist, dass die Armen von denen unterstützt werden, die über wirtschaftliche Mittel verfügen, dann gilt mit Sicherheit auch das Umgekehrte.“
„Dies ist eine überraschende Erfahrung, die durch die christliche Tradition bezeugt wird und die zu einer echten Wende in unserem persönlichen Leben wird, wenn wir uns bewusstwerden, dass gerade die Armen es sind, die uns das Evangelium lehren“, so Leo. „Auf welche Weise? Durch ihre Lebensumstände konfrontieren sie uns still mit unserer Schwachheit.“
„Der alte Mensch erinnert uns beispielsweise durch die Gebrechlichkeit seines Körpers an unsere eigene Verletzlichkeit, auch wenn wir versuchen, sie hinter Wohlstand oder Äußerlichkeiten zu verbergen“, erklärte Papst Leo. „Außerdem bringen uns die Armen zum Nachdenken über die Unhaltbarkeit jenes aggressiven Stolzes, mit dem wir oft den Schwierigkeiten des Lebens begegnen. Im Grunde lassen sie uns die Unsicherheit und Leere eines scheinbar geschützten und sicheren Lebens erkennen.“