Nigeria steht am Rand einer humanitären Katastrophe, die sich seit Jahren unbemerkt von der Weltöffentlichkeit vertieft: ein Genozid an Christen. Allein in den ersten 220 Tagen des Jahres 2025 wurden 7.087 Christen ermordet, was einem Tagesdurchschnitt von 32 Todesopfern entspricht.
Franklyne Ogbunwezeh von Christian Solidarity International warnte vor einem „Völkermord in Zeitlupe“, wie CNA Deutsch berichtete. Emeka Umeagbalasi, der Direktor der Nichtregierungsorganisation Intersociety, prognostizierte auch, dass „das Christentum bis 2075 aus Nigeria ausgelöscht werden könnte, falls der Trend anhält“.
Brennpunkt Nigeria – das Zentrum der Christenverfolgung
Das westafrikanische Land hat sich in den vergangenen Jahren zum globalen Epizentrum der Christenverfolgung entwickelt. Nach Angaben von Intersociety sind über drei Millionen Christen durch systematische Gewalt aus ihren Heimatregionen vertrieben worden.
Die Gewalt konzentriert sich auf den sogenannten Middle Belt, jenen zentralen Landstrich, in dem der muslimisch geprägte Norden auf den christlich dominierten Süden trifft. Besonders betroffen ist Benue State, ein zu 98 Prozent christlich bewohntes Gebiet.
Dort wurden allein im Jahr 2025 bereits 1.100 Christen ermordet. Beim Yelewata-Massaker vom 13. bis 14. Juni 2025 kamen 280 Menschen ums Leben, beim Sankera-Massaker im April weitere 72.
Zumeist militante bewaffnete Fulani-Hirten gelten als Hauptverantwortliche für die Angriffe. Überlebende berichteten übereinstimmend, die Angreifer hätten während der Überfälle „Allahu akbar“ gerufen oder andere religiöse Parolen ausgesprochen.
Mehrere Entführungsopfer gaben an, ihnen sei gesagt worden: „Wir werden alle Christen vernichten.“ Sie seien gezielt als „Ungläubige“ ausgewählt worden.
Seit Beginn des bewaffneten Aufstands der Terrorgruppe Boko Haram im Jahr 2009 kamen nach Schätzungen rund 125.000 Christen und 60.000 moderate Muslime ums Leben.
Vertreibung, Landraub und zerstörte Kirchen
Die Dimension der Vertreibung ist beispiellos. Über 16,2 Millionen Christen in Subsahara-Afrika, darunter Millionen aus Nigeria, hätten laut Open Doors ihre Heimat verloren. In Benue State lebten derzeit über 450.000 Binnenvertriebene in notdürftigen Lagern. Mehr als 1.100 christliche Gemeinden seien entwurzelt und etwa 20.000 Quadratmeilen Land beschlagnahmt worden.
Der Angriff auf die christliche Infrastruktur erfolge gezielt: 19.100 Kirchen wurden zerstört, über 600 Geistliche verschleppt – darunter 250 katholische Priester und 350 Pastoren. Laut Intersociety habe sich das Entführungsgeschäft zu einem „kriminellen Industriekomplex“ entwickelt, der allein zwischen Juli 2023 und Juni 2024 Lösegeldforderungen von 32 Millionen US-Dollar generierte.
Internationale Reaktionen und politische Initiativen
Im internationalen Kontext wächst der politische Druck. Der US-Kongress forderte verstärkte Sanktionen gegen die nigerianische Regierung. Der Kongressabgeordnete Chris Smith setzt sich dafür ein, Nigeria erneut als „Country of Particular Concern“ einzustufen – eine Kategorie des US-Außenministeriums für Länder, die schwere Verletzungen der Religionsfreiheit begehen oder dulden.
Der Senator Ted Cruz brachte im September 2025 den „Nigeria Religious Freedom Accountability Act“ ein. „Nigerianische Christen werden wegen ihres Glaubens von islamistischen Terroristengruppen verfolgt und hingerichtet und sind gezwungen, sich in ganz Nigeria der Scharia und den Blasphemiegesetzen zu unterwerfen“, erklärte Cruz.
Die US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) unterstützte diese Initiative ausdrücklich und sprach von „systematischen, andauernden und schwerwiegenden Verletzungen der Religionsfreiheit“.
Im deutschen Bundestag wurde 2024 über einen Antrag der AfD-Fraktion diskutiert, der die „fortgesetzte Christenverfolgung in Nigeria beim Namen nennen und ächten“ sollte. Eine politische Mehrheit fand der Antrag jedoch nicht.