Evangelium ist nicht Kapitalismuskritik: Philosoph und Priester Martin Rhonheimer

Evangelium ist nicht Kapitalismuskritik: Philosoph und Priester Martin Rhonheimer

Der Schweizer Philosoph und Priester Martin Rhonheimer hat in einem Kommentar im neuen Wirtschaftsmagazin Selektiv die moderne Lesart mancher Sonntagspredigten in Frage gestellt. Wer im Evangelium eine grundsätzliche Kapitalismuskritik finde, lese „ungenau“.

Ausgangspunkt sei das Lukasevangelium, in dem Jesus einem Mann, der sein Erbe eingefordert hatte, entgegnet: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch eingesetzt?“ und anschließend mahnt: „Gebt acht, hütet euch vor jeder Form von Habgier! Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.“

Das anschließende Gleichnis vom reichen Mann sei, so Rhonheimer, keine Kritik am Wohlstand. Der Mann werde nicht deshalb getadelt, weil er Ertrag eingefahren habe, sondern weil er sich danach zurücklehnen und nur noch konsumieren wollte: „So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber bei Gott nicht reich ist.“

Ein kapitalistisch denkender Unternehmer hätte den Gewinn investiert, Arbeitskräfte beschäftigt und die Allgemeinheit versorgt. Damit unterstrich Rhonheimer: „Jesus tadelt nicht das unternehmerische Gewinnstreben, das auf Arbeit beruht und den Wohlstand aller vermehrt, sondern – auf heutige Verhältnisse bezogen – die nichtsnutzige Faulheit des Frühpensionierten.“

Auch andere Bibelstellen wie das Gleichnis von den Talenten sprächen eher für die Anerkennung von Initiative und Einsatzbereitschaft. Der Herr lobe jene Diener, die das anvertraute Kapital verdoppeln, und tadle den, der es vergräbt.

„Was Jesus tadelt, ist die Habgier der Geizigen, Faulen, der rücksichtslosen Genießer und Wohlstandshedonisten, die eben ,vor Gott nicht reich‘ und deshalb letztlich ,Narren‘ sind“, so Rhonheimer.

Im Rückblick erinnerte Ronheimer daran, dass die Kirchenväter wie Ambrosius und Gregor der Große Eigentum als „usurpatio“ verstanden – als Aneignung zulasten anderer. Diese Sichtweise sei in einer antiken Ökonomie entstanden, die tatsächlich nach der Logik des Nullsummenspiels funktionierte: einer konnte nur reicher werden, wenn andere ärmer wurden. Erst im Mittelalter entdeckten Theologen, dass Geld als Kapital investiert werden kann und dadurch neuer Wohlstand entsteht, so Rhonheimer.

Die katholische Soziallehre erkennt spätestens seit Leo XIII. das Privateigentum offiziell als Grundlage von Würde und Freiheit an. Gleichzeitig blieb die Kritik an einem ungezügelten Liberalismus bestehen.

Mit Liberalismus ist eine Ideologie gemeint, die Freiheit allein in der Abwesenheit staatlicher Eingriffe versteht und jede soziale Bindung dem Markt unterordnet. Die Kirche hat diesen Liberalismus mehrfach verurteilt, weil er die soziale Natur des Menschen verkennt.

Die katholische Soziallehre mit ihren Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität erkennt die schöpferische Kraft der Marktwirtschaft an, fordert aber zugleich, dass diese dem Gemeinwohl dient und den Menschen in seiner Ganzheit achtet.

Rhonheimer kritisierte in seinem Kommentar, dass kirchliche Predigten oft bei alten Mustern verharren. Er verwies auf Papst Franziskus, der 2013 die Marktwirtschaft als „Wirtschaftsform, die tötet“ bezeichnet hatte. Dies entspreche dem Missverständnis, Wirtschaft sei ein Nullsummenspiel.

Demgegenüber betonte Rhonheimer: „Statt aus dem Evangelium immer wieder antikapitalistische und wirtschaftsfeindliche Töne herauszuhören, sollten sich deshalb Theologen und Kirchenvertreter auf die Geschichte des Kapitalismus einlassen und seine wertschöpfende Logik zu verstehen suchen.“

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